Unfreiwilligen Selbstversuch – über die Wirksamkeit von Achtsamkeit auf einer endlos langen Autofahrt

O. schrieb mir: „Ich freue mich schon auf Deinen nächsten Blog zu „Achtsamkeit im Stau“. Ohne Gelassenheit ist so ein Stau die Hölle.“ Ich schmunzelte, aber irgendwie hatte er recht… Ich war im Urlaub und unsere Reise im PKW mit 3 Erwachsenen und 2 Jugendlichen nach Spanien war ehrlich gesagt nicht das, was ich gewohnt war. Für mich beginnt der Urlaub immer, wenn ich ins Auto einsteige und den Zündschlüssel drehe. Dann fange ich an zu genießen. In diesem Jahr war es ein Pleiten, Pech und Pannen – Format erster Güte. Und ich fragte mich dann wirklich, wie ich diese „Höllentour im 7-Sitzer“ so gelassen durchstehen konnte.

Start der Reise war der 14 Juli 13 Uhr 30 und nach Zwischenstop in Saarbrücken, Autowechsel und Zustieg der Großeltern, kamen wir am 16. Juli um 4 Uhr an unserem Reiseziel an der Costa Blanca an. Ein paar Impressionen?

Ich starte mit zwei Pupertieren und wir finden trotz Hunger keine Futterstelle… erst sehr spät und wirklich hungrig machen wir einen Notstop. Wir kommen in Saarbrücken mit 1,5 Stunden Verspätung los und erreichen erst um 1 Uhr 30 in der Nacht unsere Unterkunft. Stehen dann auch noch vorm falschen Hotel… arrggg. Ausgeschlafen steuern wir am nächsten Morgen in einen ungewohnt heftigen Stadtverkehr in Lyon. Die beliebteste Meldung des Navi bleibt an diesem Tag „Verzögerung auf der Strecke“ – ich weiß nicht, wieviele Kilometer. Auf einer Autobahnraststätte fragt mich ein deutscher Urlauber, der aus der Schweiz kommt, ob ich nicht eine Abkürzung kenne!? *lach*

Mein linker Oberschenkelmuskel ist völlig überansprucht und mein Kopf brummt. Aber: irgendwie ist die Stimmung bei uns super, die Laune bleibt gut. Selbst als das Navi sich mit der Ankunftszeit auf gegen 4 Uhr am Sonntagmorgen festlegt, weil wir doch noch mal eine Schlafpause einlegen mussten, bleiben alle ruhig.

Wie ging es mir? Als ich vor unserem Ferienhaus aus dem Auto steige ist mein erster Gedanke: ich höre das Meer rauschen! Wenn ich auf diese vielen Reisestunden zurück schaue und den Satz von O. damit in Verbindung bringe, muss ich mir selbst sagen: ja, meine achtsame Haltung hat eine nachhaltige Wirkung! Es gibt so viele Situationen, die ich anders erlebe und bewerte, als ich das früher getan hätte. Mein Stresslevel während dieser Reise war deutlich niedriger, als bei früheren und nicht vergleichbar anstrengenden Reisen. Und ich bemerke in der Reflektion, dass diese positive Veränderung seit längerer Zeit auch in anderen Situationen mit Stress- oder gar Krisenprotenzial vorhanden ist. Welches Geheimnis steckt dahinter? Meine grundsätzlich achtsame Haltung. Aber Achtsamkeit ist kein geheimnisvoller Zauber. Sie ist eine Neuausrichtung von inneren Prozessen und Denkmustern, die (so ist mir jetzt viel bewußter als vorher) die Relationen meines Erlebens verändert. Was früher furchtbar war, ist heute imemr noch unschön, hält mich aber deutlich seltener in seinen Klauen aus negativen, einschränkenden Emotionen, als früher. Was mich in der Vergangenheit auf die Palme brachte, regt mich heut immer noch auf, aber ich gehe mit diesem Umstand anders um. Auf der einen Seite ist es das Zulassen jedweden Gefühls bei mir selbst. Indem ich nicht mehr den „Mantel der Gelassenheit“ über mein Genervt-sein, meine Anstrengung, Wut, Verletzung, meinen Stress u.s.w. lege, entschärfen sich diese Gefühle wie von selbst. Was sein darf, verliert seine lähmende Kraft. Kraft bleibt dann für den konstruktiven Umgang mit der jeweiligen Situation. Auf der anderen Seite bemerke ich eine ganz „neue“ Frucht der Achtsamkeit: mein beharrliches Üben hat mich lernen lassen Dinge zu akzeptieren! Das mag erst mal komisch klingen. Es geht hier nicht um das Hingeben an ein unvermeidliches Schicksal. Auch nicht (oft im religiösen Kontest zu findende) Theorien vom Leid, das zum Leben gehört und getragen werden muss.

Ganz im Gegenteil: Diese achtsame Art der Akzeptanz, im Gleichklang mit dem Nicht-Bewerten  von Situationen, Geschehnissen, Menschen… lässt all das weder gut noch schlecht sein. Diese Dinge sind einfach da. Sie sind, nicht mehr und nicht weniger. Und ich muss nicht an ihnen leiden.

Daraus erwuchs mir in den langen Stunden im Auto, bei Hitze und mit Kopfschmerzen eine innere Ruhe, die mir gar nicht bewußt war. Aber das Zulassen und Akzeptieren haben mich durch diese lange Reisezeit gebracht und das auch noch mit immer vorhandener Vorfreude.

Die Reise war anstrengend, gar keine Frage, aber die Reise war ok! Ich bin dankbar für eine humorvolle Bemerkung, die mir diese Gedanken darüber ermöglichte, wo überall ich die Früchte achtsamen Übens ernten kann… auch wenn mir das Ernten gar nicht bewusst ist.

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