Mein „bestes“ Scheitern… und warum das gerade jetzt erzählt wird. Hochstaplersyndrom.

Ich feiere gerade. Wer mir auf meiner Facebookseite folgt, weiß das schon. Im Herbst 2014 startete ich meine Selbständigkeit. Nebenberuflich, zu Beginn noch mit einem 30-Stunden-Job. Jetzt sind drei Jahre vergangen und es hat sich ungeheuer viel bewegt. In dieser Zeit gab es natürlich gute und weniger gute Zeiten – aus als Unternehmerin!

Ich schaue auf viele Dinge zurück, es gibt Jubiläumsschnäppchen, – aktionen und Veröffentlichungen. Zum Beispiel biete ich meinen Facebook-Followern meine drei liebsten Blogartikel seit Start dieses Blogs an. Und ich schreibe über mein „bestes“ Scheitern in diesen drei Jahren. Denn auch mal daneben zu greifen, nicht den richtigen Riecher zu haben, eine Fehleinschätzung zu treffen oder – wie in meinem Fall – über etwas zu stolpern, was alles „umwirft“, gehört dazu. Es lässt uns reifen und lernen. Beides ganz hervorragende Dinge, oder?

Schon als ich im März 2014 mit meiner Coachingausbildung fertig war, dachte ich immer: „Irgendwas mache ich noch, damit ich professioneller rüber komme UND (daran glaubte ich wirklich!) um als Coach nicht mit einem Bein im Gefängnis zu stehen.“ Warum hatte ich diesen Gedanken? In der Coachingszene ist der Markt sehr – sagen wir mal bunt. Ausbildungen und somit auch die Arbeit der Kollegen haben sehr unterschiedliche Qualitäten. Das ist nichts besonderes. Das gibt es bie Frisören auch. Mancher kanns und mancher eben nicht. Aber irgendwie wollte ich einen Sicherheitsboden. Und entschied mich dann 2015 zu Jahresbeginn, den HP Psych zu machen. Ich wollte die Qualifikation des Heilpraktikers für Psychotherapie machen, um – ja, warum eigentlich? Ich kann es heute micht mehr sagen. Ich hatte auf der einen Seite sehr großes Interesse am Thema. Gar keine Frage. Aber diesen Abschluss machen? Heute bin ich schlauer und weiß, was meine Motivation war. Denn, ich habe herausgefunden, dass ich eine vielbegabte Scannerpesönlichkeit bin. Und bei uns gibt es ein Phänomen, dass sehr verbreitet ist: das Hochstaplersyndrom. Ute Giezen-Wieland, eine geschätzte Kollegin, beschreibt es in meinem Buch wie folgt: „Hochstapler-Syndrom / Fake-Gefühl: eine ausgeprägte Angst, eigenen oder fremden Erwartungen nicht gerecht zu werden, fehlendes Bewusstsein für die eigenen Fähigkeiten. Erfolge werden eher mit Zufall, Glück oder Fehlern anderer erklärt, es gibt die Angst, nichts wirklich zu können oder sogar als unfähig oder inkompetent aufzufliegen… Der Begriff…(impostor phenomenon) wurde geprägt und umfassend beforscht von der US-amerikanischen Psychologin Pauline Rose Clance (Georgia State University, Atlanta) und ihrer Kollegin Dr. Suzanne Imes. Es betrifft häufig erfolgreiche, sogar offiziell hochbegabt getestete Menschen mit hohem Leistungsanspruch…. “

Auch unter Vielbegabten treffe ich immer wieder auf dieses Phänomen. Es führt bei Menschen, die in ähnlichen beruflichen Sparten wie ich unterwegs sind auch dazu, dass man immer noch eine Fort-, Weiter- oder Ausbildung macht, weil man mit dem Gefühl lebt, nie wirklich genug zu können/zu wissen, um wirklich gut zu sein. Und damit auch „auf der sicheren Seite“. Man fühlt sich angreifbar. Und das war eine meiner größten Motivationen, mich beim Gesundheitsamt in Köln für die Prüfung zum HP Psych anzumelden. Der Termin war auf den 17.3.2017 angesetzt. Ich meldete mich bei einem Institut an und begann mit dem Studium der Skripte. Hochspannend! Ich hatte wirklich Spaß an den Inhalten. Aber als mir wirklich klar wurde, dass ich eine Scannerpersönlichkeit war, beschäftigte ich mich ehrlich mit den vielen angefangenen Dingen… auch den Skripten, die irgendwann nur noch ausgedruckt wurden 😉

Lange Zeit hielt ich an Themen, Aufgaben, Hobbies etc fest, weil ich es ja nun mal angefangen hatte. Und das positive abschließen noch nicht gelernt hatte. Das gelang mit einer einfachen Übung von Barbara Sher aus ihrem Buch „Du musst dich nicht entscheiden, wenn du tausend Träume hast“. Ich habe Päckchen gepackt. Einen Tag bin ich durch meine Wohnung und habe Ausschau gehalten nach unvollendeten Projekten, die jeden Reiz verloren hatten. An diesem Tag habe ich drei „echte“ Päckchen gepackt, habe sie wertschätzend gefüllt und jedes „Ding“, was ich symbolisch einpackte würdevoll verabschiedet. Ich habe die Päckchen in schönes Papier eingeschlagen und eine Schleife drum gebunden. Und dann war es gut! Ich hatte seither nie mehr das Bedürfnis Gitarre zu spielen oder Flicken für eine Häkeldecke zu fertigen – WUNDERBAR! Und dann stand ich vor meinem Regal und sah die Unterlagen des HP Psych. Ich habe erst gelächelt und dann gelacht. Mir war sofort klar, dass ich in diesen Skripten nur noch lesen würde, wenn mich die Lust packt. Ich gab mir noch etwas Zeit – einen Tag. Immerhin hatte ich viel Geld ausgegeben für diesen Kurs! Aber die Nacht, die ich drüber geschlafen habe, hat nichts geändert und ich schrieb am nächsten Morgen die nette Dame beim Gesundheitsamt an und gab meinen Prüfungstermin frei. Ich bin vollkommen versöhnt mit dieser Entscheidung und hatte auch nie mehr das Gefühl, noch eine Aus- oder Weiterbildung machen zu müssen, weil ich nicht gut genug sei! Als ich meine inneren Mechanismen verstanden hatte, konnte ich irgendwie Frieden schließen. Das ging schnell und ich bin darum sehr froh. Natürlich kommen immer wieder Momente, in denen ich hadere oder an mir zweifele – aber ich weiß jetzt, was dann in mir passiert und kann damit umgehen. Und am 17.3.17 habe ich statt vor einer Prüfungskommission zu sitzen das Manuskript meines Buches ans Lektorat des Junfermannverlages geschickt! Und das Buch ist offiziell am 12.10.17 erschienen… und geht gerade über viele Ladentische von Buchhändlern, bei Amazon oder über meinen Schreibtisch.

Das Hochstaplergefühl führte zu meinem „besten“ Scheitern, denn mit dem Abschied vom HP Psych gab ich etwas auf und gewann dadurch sehr viel mehr. Im Dezember mache ich übrigens die Ausbildung zum WingWave-Coach. Aber nicht, weil ich denke, ich sei noch nicht gut genug. Sondern weil ich mit dieser wunderbaren Methode meinen Klienten und Klientinnen noch effektiver bei der Bearbeitung und Veränderung ihrer lähmenden Glaubenssätze helfen kann. Und darauf freue ich mich. Und darüber, dass ich weiß, ich bin echt gut! 🙂

4 Gedanken zu “Mein „bestes“ Scheitern… und warum das gerade jetzt erzählt wird. Hochstaplersyndrom.

  1. Liebe Annette,

    herzlichen Glückwunsch zu 3 Jahre Selbstständigkeit oder zum Leben als Freiberuflerin (ein schönes Wort).
    Danke für diesen hinreißenden Artikel. Er macht Mut, sich seiner Fähigkeiten und seines Wissens bewusst zu sein und darauf zu vertrauen und nicht immer weiter zu schauen, wie man noch besser werden kann.

    Viele Grüße
    Nora

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  2. Vielen Dank für diesen ehrlichen Blog. Nachdem ich zum 31.12.17 nach 17 Jahren meinen Job an den Nagel gehängt habe, weil ich schon seit langem „spürte“, dass das nicht alles gewesen sein kann, überlege ich nun mit einer Coachingausbildung anzufangen und kämpfe mich gerade durch den Dschungel diverser Anbieter – man will ja schließlich die BESTE Ausbildung. Und am besten noch eine Weiterbildung und noch eine Weiterbildung. Jetzt, nach dem Lesen Deines Blogs weiß ich, dass ich einfach nur auf mein Bauchgefühl hören sollte und werde genau die Ausbildung machen, die ich eigentlich als Erstes schon rausgesucht hatte 🙂

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